Abschiede.

Oh, wie schön war Panama.
Mit meinem schlafenden Kind laufe ich abends durch sommerlaue Großstadtstraßen. Dass es der Abschluss eines Kapitels wird, eines Lebensabschnitts, wußten wir. Und wußten es doch nicht. Plötzlich sitze ich an einer Straßenkreuzung und die Tränen drängen genauso hervor wie all diese Erinnerungen. Und völlig überraschend verbinden sich Bilder und Geschichten an eine vergangene Zeit, wie ein Päckchen Liebesbriefe zusammengezurrt und für die dafür vorgesehene Schreibtischschublade beiseite gelegt. Wie oft habe ich die Notwendigkeit einzelner Erlebnisse hinterfragt, manchmal habe ich diese Jahre als verlorene Zeit betrauert. Aber an dieser Straßenecke ergibt sich auf einmal ganz von selbst eine gewisse Sinnhaftigkeit. Ich bin so traurig und zugleich so wohl bei dem Gedanken, dort angekommen zu sein, wo ich zurückblicken und loslassen kann im Wissen, dass mir die Erinnerungen nicht zu nehmen sind. Sofern ich sie überhaupt bewahren will. Den Geist verlorener Leiden- und Freundschaften, eines gewissen Alters und damit verbundenen Träumen und Sehnsüchten. Wer weiß, vielleicht wird es der Moment sein, an dem ich schließlich wirklich Ehefrau und Mutter geworden bin. Ein paar Jahre zeitverzögert. Mit etwas Wehmut lasse ich die Erinnerungen zu den Sternen hier am Himmel fliegen – aber was wären Erinnerungen wert, wären sie nicht ein wenig schmerzhaft loszulassen?

An einem anderen Tag sitze ich früh morgens auf unserem Balkon, der schon von den ersten warmen Sonnenstrahlen berührt wird, und den wir eben darum besonders lieben; ich höre, wie der Wind durch die Blätter im Baum und parallel durch die Muscheln unserer Schlafzimmerlampe fährt, die wie ein Glockenspiel hell erklingen. Der erste, sanfte Straßenlärm legt sich darunter und ich schließe die Augen. Ungeahnterweise ist in dieser Woche alles voller Abschiede, aber ganz anders, als man es sich vorstellen könnte. Wieder, wie neulich abends, kommt alles wie magisch in Einklang. Im Geiste formuliere ich Sätze wie „Ich bin so froh…“ oder „Ich bin so glücklich, dass…“, aber der passendste Gedanke liegt in der wachen Einfachheit von „Danke.“ Danke für die Menschen, die mich umgeben. Danke für Vertrauen. Alles wird gut. – Nein, Alles Ist Gut.
Nach und nach wird mir bewusst, dass wir uns in einem beinahe unheimlich energetischen Moment befinden. Ich habe dieses Jahr bisher als sehr schwierig empfunden. Voller Krisen und schweren Aufgaben im Außen (Corona) wie im Innen (unsere persönliche Lebenssituation). In meinem Kopf entsteht plötzlich das Bild eines riesigen Flusses, der auf einen umwerfend schönen Wasserfall zusteuert, über den hinaus man nur den Horizont erblicken kann. Und es betrifft nicht nur uns drei. Wen auch immer wir in den vergangenen Tagen gesprochen haben – und ebenso überraschend und voll Wunder sind wir in den letzten Tagen fast traumwandlerisch all unseren Freunden und nahen Menschen an diesem Ort noch einmal begegnet – jeder erzählte uns von weit greifenden Veränderungen in seinem Leben. Es mag ein schwieriges Jahr sein, aber in sogenannten Schwierigkeiten steckt immer der Weg zur Veränderung, zu einer Ent-wicklung: Knoten platzen, los Lassen, Ent-spannung. Es Ist Gut. Und Es Ist Wie Es Ist.

Auf Wieder Sehen.
In meinem Leben gehört jeder Zeit ein Ort. So sehr mir dieser Ort jetzt vertraut ist, über ein Jahrzehnt zwangsläufig einen Dunst von Heimat heraufbeschwört, um so klarer ist, dass es kein Platz für unsere Familie ist. Als Kind auf dem Land, später in der Kleinstadt, träumte ich von einer Kindheit in der Großstadt. Heute, nach all den Jahren in den Städten, verspüre ich mehr denn je die Wahrhaftigkeit meiner Kindheit in der Natur, in den Wäldern und auf den Wiesen, zwischen Bäumen und an Bachläufen. Und so sind es wohl gar keine Abschiede, nur Wiedersehen, die uns im Leben begegnen. Wir kehren zurück ins Bekannte, so unbekannt es uns erscheinen mag, bloß weil man dem Land oder den Bäumen und Wiesen an sich, andere Namen gegeben hat.

Auf Wieder Sehen – und Guten Morgen, Berlin!